Geschützte Räume als Konflikträume

Vielerorts gibt es den Anspruch, ‚geschützte Räume’ zu schaffen. Sie sollen die Auswirkungen von Machtdifferenzen sowie strukturelle und biographische Gewalterfahrungen abfedern. Anliegen ist es, dass für alle, die sich dort aufhalten, Möglichkeiten entstehen, diese Räume nicht nur angstfrei zu nutzen, sondern sie mutig zu gestalten. Dennoch sind es keine einförmigen, homogenen Räumen. Differenzen bringen Hierarchien und Machtdynamiken mit sich. Was bedeutet es, geschützte Räume aufrecht zu erhalten, wenn es schwierig und konfliktreich wird? Wie wird mit Konflikten in geschützten Räumen umgegangen?

Stellen wir uns geschützte Räume als konfliktfreie oder gar harmonische Räume vor? Oder geht es darum, dass an diesen Orten unter ‚schützenden Bedingungen’ mit Konflikten umgegangen werden kann – Konflikten, die aus Machtgefügen, unterschiedlichen Ressourcen, unvereinbaren Interessen oder Werten resultieren?

Mit diesen Fragen haben wir uns in einer Diskussion an der Alice Salomon Hochschule befasst, aus der später der Queer Saal Lun* „Türpolitiken“ (Juni 2017) (http://caring-for-conflict.de/blog/saallun-tuerpolitiken/ ) entstanden ist. In der Auseinandersetzung mit „Türpolitiken“ ging es unter anderem um die Frage, ob es auch notwendig sein kann, jemanden auszuschließen, um geschützte Räume zu schaffen. Und wenn ja, wie kann ein solcher Ausschluss, oder eine an Bedingungen geknüpfte Teilnahme, kommuniziert werden?

Zunächst einmal war unser Thema aber, wie innerhalb geschützter Räume mit Konflikten umgegangen werden kann. Drei wichtige Ergebnisse der Diskussion möchten wir gerne festhalten:

Erstens ist es wichtig, dass wir lernen, Konflikthaftigkeit wahrzunehmen und Konflikte zu artikulieren. Dies heißt zu allererst, ein Verständnis für die Komplexität der Machtgefüge zu entwickeln, die in einem konkreten Kontext wirksam sind. Denn diese Machtgefüge definieren, wer von welcher Position, mit welcher Berechtigung spricht. Wer verfügt über welche Codes? Wer kann diese zur Norm(alität) erklären? Wer definiert das Feld der (un)angemessenen Gefühlsäußerungen?

Aufmerksamkeit für die Machtgefüge, kann idealerweise auch heißen, Konkurrenzen um Ressourcen und Aufmerksamkeit zu erkennen. Wo sind Umverteilungspolitiken nötig, um Ungleichgewichte auszugleichen, die die Beteiligung an der Konfliktaustragung be- oder verhindern?

Zweitens braucht es strukturell definierte, für alle zugängliche Orte und transparente Verfahren der Konflikttransformation. Welche Personen oder Bedingungen können dies unterstützen? Ziel ist es nicht, Konflikte zu vermeiden, sondern die Infrastruktur für einen ermächtigenden Umgang mit Konflikten zu schaffen. Wichtig ist es, hierbei auch aufmerksam zu sein für schwelende, halbherzig befriedete oder unterdrückte Konflikte, die oftmals aus struktureller Ungleichheit resultieren. Zum Beispiel wäre ein guter Schritt, eine Antidiskriminierungskommission einzurichten – und sie mit Menschen zu besetzen, die aufmerksam für Ungleichheitsstrukturen und Machtdynamiken sind, aber nicht als Token herhalten müssen.

Ansonsten geht es drittens darum, Konflikte als Alltagspraxis zu kultivieren und auszunutzen, dass viele Menschen über vielfältige und unterschiedliche Kompetenzen der Konfliktbearbeitung verfügen. Konflikten wohnt ein Veränderungspotenzial inne. Dies kann aktiviert werden, wenn Konflikte nicht auf Grund von Macht-Asymmetrien als Problem erfahren werden müssen. Machtsensible Konfliktkulturen sind kein zu vernachlässigendes Extra unseres miteinander Umgehens. Solange Konfliktkulturen allerdings keine institutionelle Verankerung und kommunikative Unterstützung erfahren, setzen sich diejenigen Positionen durch, die als Vertretungen der jeweils vorherrschenden Dominanzkultur auftreten  – entweder, weil sie auf strukturell abgesicherte Prozeduren zurückgreifen können oder weil sie persönlich über die meiste Autorität verfügen. Deshalb ist es sinnvoll, Zeit, Raum, Ressourcen und Energie in geschützte Räume als Konflikträume stecken.

Antke Engel, in Zusammenarbeit mit den Studierenden der Vertiefung Gender und Queer Studies (ASH Berlin, SoSe 2017)

03.04.2019—17:05 h—Geschützte Räume als Konflikträume