„Für mich ist Staubsaugen wie Yoga“ – Queer-feministische und intersektionale Perspektive auf Care in Caring for Conflict
Francis Seeck
„Arme erinnern uns auch daran, dass Arbeit, die für jemanden verrichtet wird, eine feministische Angelegenheit ist. Arbeit schließt reproduktive Arbeit mit ein; die Arbeit, die darin besteht, ein Leben zu reproduzieren; die Arbeit, die Bedingungen reproduziert, die es anderen ermöglichen zu leben. […] Feminismus muss sich dieser Arbeitsteilung verweigern, diese Freimachung von Zeit und Energie für einige wenige durch die gleichzeitige Einstellung der Gliedmaßen für andere. Wenn die Befreiung von Zeit und Energie von der Arbeit anderer Leute abhängt, wälzen wir einfach nur unsere Erschöpfung auf andere ab.“ (Ahmed 2017: 118)
Was bedeutet Caring im Projekt Caring for Conflict? Wälzen wir unsere Erschöpfung auf andere ab? Über diese Frage diskutierten wir im Laufe des Projekts regelmäßig. In zwei Gruppengesprächen reflektierten wir unsere Care Biografien und wie diese mit Diskriminierungs- und Privilegierungserfahrungen verbunden sind. Wir waren uns einig: Care Praxen und wer welche Care Arbeit verrichtet und erhält ist immer vergeschlechtlicht und rassifiziert, zudem eine Frage von Klasse.
„Wann werden Mütter umsorgt und gepflegt?“ – Care, Feminismus und Heteronormativität
Was bedeutet Care aus einer queeren-feministischen Perspektive? Wir erzählten uns, wer in unseren Herkunftsfamilien oder Institutionen, in denen wir aufgewachsen sind, Care Arbeit geleistet hat. Eine Projektteilnehmerin erinnert sich, dass die Care Momente ihrer Familie, immer ihre Mutter organisiert hat. Wir fragten uns: Wie war das bei uns? Und wann und von wem werden Mütter umsorgt und gepflegt?
Einige von uns übernehmen Sorgearbeit für Kinder oder die Herkunftsfamilie. Andere von uns werden keine eigenen Kinder haben, die eventuell die Pflege übernehmen könnten. Hetero- und Cisnormativität, die Annahme es gäbe nur zwei Geschlechter, die sich einander begehren, macht auch vor Care nicht halt. Wir fragten uns: Wie gehen institutionelle Care Räume damit um, wenn wir mit einem anderen Namen angesprochen werden wollen, als der, der in unserem Ausweis steht? Was passiert, wenn wir normativen Körperbildern nicht entsprechen? Insbesondere trans*, nicht-binäre und inter* Personen sind menschenrechtswidrigen Hürden in der medizinischen Care-Versorgung ausgesetzt. Entsprechen sie nicht den normativen zweigeschlechtlichen Körperbildern, kann es sein, dass ihre geschlechtliche Selbstbestimmung missachtet oder sie exotisiert werden („wie interessant“). Wie können wir Care jenseits von klassischen Familienkonzepten und Zweigeschlechtlichkeit aufbauen?
„Für mich ist Staubsaugen wie Yoga“ – Care und Klasse
„Für mich ist Staubsaugen wie Yoga“ teilt Nuray Demir in der Gruppendiskussion. Dies hat auch mit Klassenherkunft zu tun. Ihre Mutter aß nie mit am Tisch, sondern war immer im Care- Arbeitsmodus. Einige von uns arbeiten und leben prekär und werden von Altersarmut betroffen sein. Warum bezieht queer-feministische Care so selten Ökonomie mit ein, sondern wird oft jenseits von Geld verortet? Dabei sind Menschen, die queer oder trans* leben, häufig von Armut betroffen. Wer leistet Care Arbeit und wer kann sich umsorgen lassen?
„Übersetzen ist auch Caring“ – Diaspora Care
Teilnehmer_innen diskutierten auch migrationsspezifische Erfahrungen von Care. Unter dem Begriff Diaspora Care machte Nuray Demir darauf aufmerksam, dass sie als Kind bereits ihre Eltern zu Elternabenden und Ärzt_innen begleitete, um zu übersetzen, Briefe übersetzte und auch zu Hause viel Verantwortung übernahm. Care Arbeit ist entlang Achsen von Diskriminierung und Privilegierung sehr ungleich verteilt. Care ist immer auch ein intersektionales Thema: wer kann sich ausruhen und hat ein Sicherheitsnetz, und wer wirkt getrieben?
I Don’t Care
In der Gruppendiskussion diskutierten wir die Widersprüchlichkeit des Projekts aus einer queer-feministischen Care Perspektive. Uns fiel auf, dass Caring oft als Aufforderung in queer-feministischen Projekten wie CfC formuliert wird: „You should care“. Wir sollen uns mit Projekten identifizieren und auch ehrenamtliche und unbezahlte Arbeit gerne leisten, da wir uns ja für das Thema sorgen. Gleichzeitig soll gerade in Kunst- und Kulturprojekten am Ende oft ein Produkt stehen, welches für die Förder_innen sichtbar ist. Es gibt gleichzeitig eine sehr kurze Laufzeit, aber die Erwartung etwas zu produzieren oder fundamental aufzuwirbeln und zu verändern und sich emotional mit dem Projekt zu identifizieren/“to care“. Zudem wird ein kollektiver Arbeits- und Denkprozess am Ende auch in queeren und feministischen Projekten oft unsichtbar gemacht, in dem die Artikel oder Kunstwerke unter einem Einzelnamen veröffentlich werden. Wir fragten wir uns: How is this Caring?
Wie kann Care in feministischen und queeren Räumen organisiert werden, ohne dass dies in Selbstausbeutung oder Ausbeutung anderer endet? Wer kann sich ehrenamtliche oder unbezahlte Arbeit eigentlich leisten? Aus einer queer-feministischen Care-Perspektive wird hier ein Widerspruch deutlich. Sollten wir nicht auch der „Ver-Ehrenamtlichung“ von Care entgegentreten?
Why Care? Solidarität und Care
Why Care? Queer-feministische Debatten rund um Care fordern uns auf, die Bedingungen anzuschauen, unter denen Sorgearbeit verrichtet wird. Oft fehlt es an Anerkennung, angemessener Bezahlung und sicheren Arbeitsbedingungen. Wie geht es den Personen, die Care-Arbeit verrichten? Welchen Einfluss haben Klassenverhältnisse, Rassismus und Heteronormativität darauf, wer Care-Arbeit verrichtet und wer Zugang zu Versorgung und Sorgearbeit hat? Die feministische Analyse, Care sei feminisiert, ist aus einer intersektionalen und queeren Perspektive komplexer. Oft lösen weiße Frauen aus der Mittelklasse ihre Care-Konflikte, in dem sie die Sorgearbeit an ärmere und oft von Rassismus betroffene Frauen delegieren. Auch viele trans* Personen sind im schlecht bezahlten oder informellen Care-Sektor tätig, oft bedingt durch den Ausschluss aus dem regulären Arbeitsmarkt.
Zur Autor_in
Francis Seeck ist Autor_in, Antidiskriminierungstrainer_in und promoviert zu kollektiven Care/Sorgepraxen in trans und nicht-binären Räumen. Arbeitsschwerpunkte: Klassismus, Trans & Queer Studies, Care und Sterben. Francis lehrt an der Alice Salomon Hochschule Berlin Gender und Queer Studies und ist Teil des Institut für Queer Theory.
Zum Weiterlesen:
Ahmed, Sara (2017). Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster: Unrast.
La Bellacasa, María Puig de (2012). ‘Nothing Comes Without Its World’. Thinking with Care. In: The Sociological Review 60 (2), 197–216.
Laufenberg, Mike (2012). Communities of Care: queere Politiken der Reproduktion, in: Reproduktion in der Krise, Luxemburg 4/2012.