Das ‚CARING‘ im Caring for Conflict

Antke Engel

Feministische Care-Theorien befassen sich mit Sorge und Fürsorge, auf die wir alle angewiesen sind, für die aber nur einige die Verantwortung übernehmen. Zunächst lag die Aufmerksamkeit vor allem darauf, wie sich bezüglich Care eine geschlechtliche Arbeitsteilung herausbildet, in der die Arbeit von Frauen* abgewertet wird. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff Care-Arbeit geprägt und es wurden Parallelen zu früheren feministischen Diskussionen um (unbezahlte) Hausarbeit und Reproduktionsarbeit (im Unterschied zum Produktionssektor) gezogen. Das Besondere am Care– oder Sorge-Ansatz liegt darin, dass auch Gefühlsarbeit (affektive Arbeit) mit bedacht wird. Hier stellt sich ein erster Anknüpfungspunkt zu Caring for Conflict her, denn wenn wir uns um Konflikte sorgen, bzw. für Konflikte Sorge tragen, dann ist dies eine durchaus emotionale Angelegenheit. Doch welche Gefühle und wessen Gefühle (und affektiven Reaktionen) kommen im Umgang mit Konflikten zum Tragen? Entstehen auch hierbei Hierarchien?

Care-Praxen unter Bedingungen sozialer Ungleichheit

Macht bedient sich der Gefühle. Und Gefühle befördern die Macht oder fordern sie heraus oder leisten ihr Widerstand. Dies bezieht sich keineswegs nur auf die Geschlechterhierarchie. Zum einen geht Geschlecht nicht in heteronormativer Cis-Geschlechtlichkeit auf, zum anderen stellte sich in feministischen Care-Diskussionen bald heraus, dass bei den Fragen, wer, für wen, und mit welcher Motivation Sorgepraxen vollzieht, immer auch Rassifizierung oder Ethnisierung eine Rolle spielen. Schon Kolonialismus und Sklaverei waren von rassistischen Formen der Care-Ausbeutung geprägt. Heute sind Migrant*innen, je nachdem woher sie kommen und welchen Geschlechts* sie sind, unterschiedlich, das heißt ungleich, in gesellschaftliche Care-Arbeit (formelle und informelle Pflegeberufe) einbezogen. Dabei fragt sich auch, wie rassisierte/ethnisierte Ausbeutung und Klassenverhältnisse ineinandergreifen. Wer kauft Care-Arbeit? Wer kann diese lediglich verkaufen? Der Begriff der globalen Sorgekette (global care chain) verweist darauf, dass diejenigen, die zur Arbeit in den globalen Nord-Westen migrieren, darauf angewiesen sind, in ihren Herkunftsländern bezahlte Kräfte oder unbezahlte Verwandte zu aktivieren, um ihre eigenen Kinder zu versorgen. Zweifellos auch dies ein Konfliktfeld – dort wie hier. Wie sieht es in unseren eigenen WGs, Familienhaushalten oder Projekten aus? Wie ist Care dort organisiert?

Mit dem Titel des Projekts Caring for conflict wird ein neues Feld der Care-Praxis eröffnet: Sorgsam mit Konflikten umgehen. Dieser Anspruch lässt sich auf alle möglichen Konflikte beziehen. Besonders brisant wird es jedoch, wenn es sich um Konflikte über soziale Ungleichheit und asymmetrische Angewiesenheit handelt, die sich in den Care-Praxen des eigenen Projekts spiegeln. Wer trägt was bei? Wer profitiert wovon? Wer geht sorgsam mit welcher Art Konflikte um? Mit Konflikten, die vielleicht überhaupt erst entsteht, weil jemand das eigene Privileg ausspielt, gesund und/oder weiß und/oder finanzkräftig und/oder gebildet und/oder sozialversichert und/oder verstaatsbürgert und/oder heterosexuell und/oder cis zu sein?

Aus diesen Beobachtungen entsteht eine weitergreifende Fragestellung: Wie können die*jenigen, die auf Care angewiesen sind mit den*jenigen, die sich Care als Luxus leisten und den*jenigen, die ihrerseits Care gebrauchen könnten, aber gezwungen sind, Care-Arbeit für ihren Lebenserhalt zu leisten, gemeinsam einen Konflikt austragen? Auf Augenhöhe? Oder eben gerade nicht auf Augenhöhe? Dies ist die Frage, die Caring for Conflict unter der Überschrift „Auf der Suche nach queren Konfliktkulturen“ stellt – und damit die Aufmerksamkeit auf gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens lenkt, in denen die sozialen Unterschiede zum Tragen kommen.

Communities of Care

Im Anknüpfen an queere Diskussionen zu „Communities of Care“ hat Francis Seeck auch für Caring for Conflict eine Blickverschiebung auf gemeinschaftliche Formen von Care vorgeschlagen. Statt nach Care-Praxen bzw. Care-Arbeit könnten wir nach Care-Gemeinschaften fragen – die jedoch, wie gerade erläutert, keineswegs frei von Hierarchien sind. Ich sehe mehrere Vorteile in dieser Verschiebung:

Der Bezug auf Communities of Care betont, dass wir keine autonomen Wesen, sondern aufeinander angewiesen sind – alle, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Dies hebt eine Gemeinsamkeit in der Unterschiedlichkeit hervor, auf die sich vielleicht zurückgreifen lässt, wenn es Konflikte gibt. Die Community bietet Möglichkeiten, die Risiken der Abhängigkeit und sogar Gewalt abzufedern, die auf Grund von sozialen Ungleichheitsverhältnissen oder der Asymmetrie entstehen, die Care-Beziehungen grundsätzlich zu eigenen ist. Care-Beziehungen beruhen nicht auf Gegenseitigkeit: eine* Person wird umsorgt und ist darauf womöglich existentiell angewiesen, während die* andere Person sorgt. Dass Abhängigkeit ausgenutzt wird, ist weniger wahrscheinlich, wenn eine Gruppe – sei es durch Aufmerksamkeit oder durch eingreifendes Handeln – die Care-Praxen begleitet. Zugleich kann auf diese Weise auch damit umgegangen werden, dass nicht nur die Umsorgten, sondern auch die Umsorgenden Care benötigen: Sorgearbeit ist anstrengend und emotional erschöpfend. Wer sorgt für die, die sorgen?

Des Weiteren ist von Vorteil, dass sich in Communities oft selbst-organisierte und professionell-vergütete Arbeit miteinander mischen und damit Dienste, die sonst nur für zahlungskräftiges Klientel beschränkt sind, für breitere Kreise zugänglich werden. Darin liegt aber auch das Problem, dass der Sozialstaat womöglich aus der Verantwortung entlassen wird, weil Bedürfnisse durch Selbst-Organisation, und das heißt oft auch Selbstausbeutung, erfüllt werden. Last but not least, stellen Gemeinschaften als solche einen Wert dar, der sich nicht durch vereinzelte (individualisierte) oder kommerzialisierte Tätigkeiten und schon gar nicht durch Pflegeroboter ersetzen lässt. So ist zum Beispiel in den 1980er und 1990er Jahren zu Zeiten der Aidskrise viel Care-Arbeit in schwul-lesbischen Communities geleistet worden, die sich überhaupt erst durch diese gemeinsame, selbst-organisierte Praxis gebildet haben und aus denen weitreichende Projekt und Initiativen entstanden sind. Was heißt es, wenn heutzutage in schwulen* Kreisen Prep-Präparate den safer sex ersetzen? Tritt damit die Pharma-Industrie an die Stelle der Community? Verschärft sich die Abhängigkeit von persönlichen finanziellen Möglichkeiten oder ein entsprechend unterstützendes öffentliches Gesundheitssystem? Welches Sprechen über Sex, welche Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und den sexuellen Wünschen und Ängsten des* Partners* fällt damit weg, das im Community-Kontext möglich wäre?

Care kann, das zeigt dieses Beispiel, auch mit Intimität und Begehren einhergehen – ein durchaus brisanter Zusammenhang. Was heißt es, Care aus queerer Perspektive im Zusammenhang von Erotik und Intimität, von Liebe, Sexualität und Begehren zu betrachten? In Beziehungen, die von nicht-gegenseitiger Sorge, von Angewiesenheit und vielleicht struktureller Abhängigkeit geprägt sind (wie dies zwischen Eltern und Kindern, Lehrenden und Lernenden, Heimbewohner*innen und Mitarbeitenden der Fall ist) wirft dies die Fragen auf, wann Handlungsmächtigkeit schwindet, wann Ausnutzen und wann Gewalt beginnen. Unter welchen Umständen können Intimität und Begehren jedoch auch zu Befriedigung, Zufriedenheit, Glück, Wachstum, Wahnwitz und Ekstase beitragen? Gilt es auch für die Communities of Care, dass sich queere Beziehungsformen entwickeln können? Queere Formen der Sozialität, in denen Begehren nicht nur als Erotisch-Sexuelles in Spiel kommt, sondern auch Bilder und Phantasien inspiriert, die neue, unerwartete Verbindungen eröffnen. Es besteht immer das Risiko, dass soziale Ungleichheit und Asymmetrien, Privilegien und Diskriminierung, Abhängigkeit und symbolische oder alltägliche Gewalt in die Communities of Care eintreten. Nicht selten wird es passieren, dass sich Lust und Schmerz vermischen, weil in unseren Freundschaften, intimen Beziehungen und Polit-Kontexten der Rassismus des Asylsystem, die verleugneten Geschichten von Kolonialismus und Nationalsozialismus oder andere Formen struktureller und historischer Gewalt greifen. Dann sind queere Konfliktkulturen gefragt. Was diese bieten können, versucht Caring for Conflict herauszufinden.


Zur Autor_in:

Antke Engel widmet sich als feministische Queer Theoretikerin und Philosophin der VerUneindeutigung von Geschlechtern, Sexualitäten, Kategorien und gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie leitet das Institut für Queer Theory (iQt) in Berlin, das seit 2006 Projekte initiiert, die sich einer queeren Politik der Repräsentation verschreiben. Hierbei hat das Experimentieren mit Veranstaltungsformaten/-orten den Sinn, akademische, künstlerische und aktivistische Perspektiven zu verweben. Die promovierte Philosophin arbeitet als Gastprofessorin und freiberuflich in Wissenschaft und Kulturproduktion; sie war Fellow am ICI Berlin und dem Gender Institute der LSE London. Neben zahlreichen Aufsätzen hat sie die beiden Monographien Wider die Eindeutigkeit (2002) und Bilder von Sexualität und Ökonomie (2009) veröffentlicht.

Zum Weiterlesen:

Conradi, Lisa (2001): Take Care. Grundlagen einer Ethik der Achtsamkeit, Frankfurt/M. (Campus)

kitchen politics (Hg.): Wofür wir kämpfen. Queere Politik und Communities of Care, Münster (edition assemblage), erscheint 2019.

Laufenberg, Mike (2012): Communities of Care. Queere Politiken der Reproduktion, in: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis Nr. 14 (4): 96-101

Yuval-Davis, Nira (2011): The Politics of Belonging: Intersectional Contestations, darin Kapitel 6: The Caring Question: The Emotional and the Political, London et al. (Sage): 177-199