Gemeinsame Räume öffnen – hörende Ignoranz überwinden

Lisa Scheibner war als hörende Besucherin bei der Veranstaltung „Tauber Stressfaktor: Hörende Ignoranz“ und schildert ihre Eindrücke.

Audismus, also die Diskriminierung Tauber Menschen durch die Hörenden, ist alltäglicher Stress für Mitglieder der Tauben Community. Da wir Hörenden es uns als gesellschaftliche Mehrheit bisher offenbar leisten können, die Bedürfnisse Tauber Menschen zu ignorieren, wissen die meisten von uns noch nicht einmal: genau das ist auch Audismus.

Das war bei mir selbst auch bis vor kurzem der Fall und ich bin an diesem Abend im Oktober wohl das erste Mal in einem Raum, wo ich als Hörende zu einer Minderheit gehöre. Zum Glück wird nicht nur das gesamte Bühnenprogramm, das in Deutscher Gebärdensprache (DGS) stattfindet, in Lautsprache verdolmetscht, sondern auch für informelle Gespräche danach gibt es einen Kommunikationsassistenten, damit es leichter wird, miteinander in Kontakt zu kommen.

Die Veranstaltung, die im Rahmen des Projektes Caring for Conflict stattfindet, hat zwei Schwerpunkte: der Konflikt mit den Hörenden und Konfliktthemen innerhalb der Tauben Community.

Verschiedene Programmteile geben Einblicke in die Diskussionen, die durch Veranstaltungen wie diese angestoßen werden sollen. Die Fotografin Xenia Dürr zeigt Ausschnitte aus einer Fotoreihe, in der sie Erlebnisse von Ohnmacht und Isolation als Taube Person situativ nachstellt. Wir sehen auf einem Bild etwa eine Person beim Arzt auf einer Liege, deren Ohren überdimensional groß dargestellt sind. Die anwesenden Mediziner*innen interessieren sich so sehr für die Ohren, dass der Mensch, zu dem sie gehören, komplett zur Nebensache wird. Wir erfahren, dass das ein ganz gängiges Erlebnis ist: eine Taube Person geht mit Nasennebenhöhlenentzündung zum Arzt, aber der interessiert sich nur dafür, was das vielleicht mit der Hör(un)fähigkeit zu tun haben könnte.

Der anschließende Vortrag über die Geschichte des Audismus und die Unterdrückung der Gebärdensprache ist nicht ganz neu für mich, denn ich habe einen Teil davon schon einmal in einem Workshop kennengelernt. Auch das Stück “Die Taube Zeitmaschine” (Possible World), aus dem hier Filmausschnitte gezeigt werden, habe ich vor ein paar Jahren gesehen. Es thematisiert die Gewalt, der Taube Menschen in der Vergangenheit ausgesetzt waren (und in anderer Form noch immer ausgesetzt sind). Die Filmausschnitte mit Berichten der Tauben Zeitzeuginnen, die gegen Ende der Nazizeit geboren sind, sind auch beim zweiten Sehen wieder erschütternd.

Dann richtet sich der Fokus auf Diskussionen innerhalb der Tauben Community. (Co-)Organisatorin Silvia Gegenfurtner fragt in die Runde: Wer hat sich von den Tauben Leuten schon mal mit Rassismus beschäftigt? Wenige Hände gehen zaghaft nach oben. Queer-Feminismus oder Rassismus sind Themen, zu denen sich für Taube Menschen nicht so leicht Informationen finden lassen. Vieles ist auf Englisch oder die Texte sind sehr wissenschaftlich geschrieben, Beiträge in Gebärdensprache gibt es dazu kaum. Selten werden Veranstaltungen dazu in DGS übersetzt, aber es ist schwierig, die Inhalte in der Übersetzung zu verfolgen, ohne ausführliches Vorwissen zu haben. Die Deutsche Gehörlosenzeitung hat aktuell zum ersten Mal Rassismus als Titelthema. Die Diskussion darüber hat also gerade erst angefangen.

Zum Ende hin werden wir noch mal aus unserer gemütlichen Zuschauer*innenhaltung gerissen: “Das ist jetzt der Raum für die Hörenden”, gebärdet Silvia. Gibt es Fragen? Kommentare? War das Gesehene neu für uns?

Ich frage: Wie könnten denn solche Räume aussehen, in denen Taube und Hörende gegenseitig von ihrem Wissen profitieren? Was braucht es dafür? Wie können Themen verhandelt werden? “Da kann ich dir jetzt auch keine fertige Lösung sagen”, bekomme ich zur Antwort. Na klar, es geht darum, einen Prozess anzufangen.

Eben genau mit Veranstaltungen wie dieser: mit Input, Kunst und Diskussion. Und natürlich mit Möglichkeiten zum Austausch. Allerdings könnten das nächste Mal ruhig noch mehr Hörende auftauchen.

20.01.2019—21:50 h—Gemeinsame Räume öffnen – hörende Ignoranz überwinden