Diskursive Aneignung – ein Kommentar

von Bela F. Cordes

In unserem ersten Saal*Lun wurde unter anderem über Kulturelle Aneignung diskutiert und über Möglichkeiten damit umzugehen. Dabei wurde sich in der Diskussion über Veranstaltungen und deren Türpolitiken ausgetauscht.

Unser Gastautor Bela F. Cordes hat sich Gedanken über den Begriff „Kulturelle Aneignung“ gemacht und die Schwierigkeiten im Umgang daran, wenn kulturelle Aneignung aufgezeigt und kritisiert wird.

In linken und queeren Kontexten in Berlin hat sich in den vergangenen Jahren eine Konfliktdynamik entwickelt, bei der Kritik als eine Beschuldigung gedeutet wird. Kritik zu üben kann jedoch ein wertschätzender Hinweis sein und vermitteln, dass der anderen Person zugetraut wird, mit dieser Kritik produktiv umzugehen.

Als Grundlage für die Auseinandersetzung mit sogenannter diskursiver Aneignung wird das Konzept der ‚cultural appropriation‘ herangezogen. Als diskursiv wird die sprachliche Herangehensweise an bestimmte Themen genannt, bei der bestimmte Ansichten ein größeres Gewicht als andere haben. Diskurse entstehen nie in einem herrschaftsfreien Raum, sondern werden von Menschen mit Privilegien beispielsweise in Bezug auf Sexismus und/ oder Rassismus dominiert. Das Konzept der ‚cultural appropriation‘ hat in den letzten Jahren in akademischen und aktivistischen Kreisen an Bedeutung gewonnen. Die Bezeichnung kulturelle Aneignung ist als Bezeichnung eines Konzepts missverständlich gewählt, da es nicht um eine Trennung kultureller Praktiken geht, sondern um das Übernehmen und Sich- Aneignen von Widerstandssymbolen. Die Übernehmenden und Sich-Aneignenden sind Personen, die bezüglich Rassismus privilegiert sind, also weiße Menschen. Die Aneignung von Widerstandssymbolen in der privilegierten Position ist in diesem Zusammenhang doppelt problematisch, da die Symbole eine Abgrenzung genau den Privilegierten gegenüber darstellen. Praktisch bedeutet das, dass zum Beispiel das Tragen von Dreadlocks eine Form des Widerstandes gegenüber dem weißen Establishment und weißen Vorstellungen von Schönheit und Gepflegtheit darstellten. Es stellt(e) eine Gegenbewegung gegen ein unfreiwilliges Anpassen an weiße Schönheitsnormen, wie dem Glätten der Haare, dar. Wenn nun weiße Personen ihre Haare als „Dreadlocks“ tragen, verkommt eine widerständige Praktik nicht nur zu einem Modetrend, die Wirkung dieses Protestes wird ausgehebelt, da weiße Personen per se dem weißen (Haar-)Ideal entsprechen und sich dieser Norm nicht widersetzen müssen. (Sow 2015: 417)

Ausgehend von diesem Konzept ist mit diskursiver Aneignung gemeint, dass Worte oder Buchstaben mit widerständigem Ursprung in einen hegemonialen, also vorherrschenden oder dominanten, Diskurs übernommen werden.
In spanisch- und portugisisch-sprachigen Communities, vor allem in Südamerika und den USA, haben sich in den vergangenen Jahren Schreibweisen entwickelt, die dazu dienen sollen, Alternativen zur Zwei-Genderung in der spanischen und portugisischen Sprache zu bieten. Begonnen hat dies mit der Einführung des @-Zeichens in Schriftform. Die Endungen -a und -o zeigen im Spanischen und Portugisischen die weibliche und die männliche Form an. Im @-Zeichen sind sowohl ‚a‘ als auch ‚o‘ enthalten, es sind hierdurch Männer und Frauen zugleich angesprochen. Durch die Verschmelzung der binären Pole, sind aber auch all jene miteinbezogen, die sich jenseits einer binären Identität verorten. Da diese emanzipatorische Weiterentwicklung der Sprache jedoch nur schriftlich umgesetzt werden konnte, hat sich mit der Zeit das ‚X‘ etabliert. Es wird an das Ende eines gegenderten Wortes gesetzt, zum Beispiel kann so aus ‚Latina‘ und ‚Latino‘ neben Latin@ nun LatinX gemacht werden. Diese Schreibweise ist zum Einen von der Wirkung her radikaler, da es ein Durchkreuzen, ein Durchstreichen ist und somit eine Absage an binäre Vorstellungen und Schreibweisen. Es hat zum Anderen den Vorteil, dass es auch gesprochen werden kann. (Vgl. Baumgartinger 2017: 65)

Lann Hornscheidt hat diese Idee in der ersten Veröffentlichung zur sprachlichen Neuentwicklung aufgegriffen und Personalpronomen entwickelt, die von Personen verwendet werden können, die für sich weder weibliche noch männliche Pronomen benutzen können. Das Pronomen ist ‚x‘ und das Possesivpronomen ist ‚xiere‘. In der ersten Veröffentlichung gibt es den Hinweis, dass das ‚x‘ ‚LatinX‘ entlehnt wurde, in der zweiten und dritten Veröffentlichung wird das ‚x‘ als eigenständig entwickelt dargestellt. (Baumgartinger 2017: 65f.) Das ‚x‘ erinnert zudem an Malcolm X, der als widerständige Symbol seinen Nachnamen änderte um auszudrücken, dass dieser ihm beziehungsweise seinen Vorfahren von weißen Kolonisatoren aufgezwungen worden war. (Malcolm X: 2015)

Das fehlende Kennzeichnen in dieser Konstellation ist problematisch und stellt eine Form der ‚cultural appropriation‘ dar. Denn Hornscheidt übernimmt als weiße Person mit akademischem Grad ein Konzept von People of Color, ohne den Ursprung und die Urheberschaft zu kennzeichnen. Hornscheidt nimmt wissentlich in Kauf, als die erfindende Person einer sprachlichen Neuentwicklung gesehen zu werden und macht die widerständige Arbeit von People of Color damit unsichtbar. Dass Konzepte weiterentwickelt werden, Ideen übernommen werden und Sprache lebendig und damit Veränderungen ausgesetzt ist, steht außer Frage. Im Falle dieser diskursiven Aneignung muss jedoch miteinbezogen werden, dass die Akteur_innen bezüglich Rassismus unterschiedlich positioniert sind. Die Urheber_innen der emanzipatorischen Weiterentwicklung von Sprache müssen für ihre Arbeit anerkannt werden. Das wissentliche Übernehmen ihrer fortschrittlichen Gedanken ohne eine Würdigung verfestigt ein hegemoniales System der Wissensproduktion, dass die Deutungshoheit weißen Akademiker_innen zuteilt und nicht-weiße Perspektiven verdrängt.

Im Sinne einer wertschätzenden Kritik geht es hierbei um die Aufmerksamkeit und Sensibilität bezüglich der eigenen Position und der Macht, auf einen Diskurs einzuwirken und die Wichtigkeit zu kennzeichnen, welche Personen am Prozess der Entwicklung emanzipatorischer Konzepte beteiligt waren.

 

17.02.2018—13:56 h—Saal*Lun